Es muß noch Nacht gewesen sein, als von einem Flugplatz in Mittelengland viele Bomber – Geschwader, jedes etwa 14 – 17 Flugzeuge stark, in kurzen Abständen aufstiegen.
Zur gleichen Zeit, einige hundert Kilometer östlich, schlich sich das erste Morgengrauen in das glasklare, wolkenlose Firmament.Es war der frühe Morgen des 20. Juni 1944, der längste Tag und die kürzeste Nacht des Jahres. Und während einige hundert Bomber mit ihrer todbringenden Last gen Osten flogen, begleitet von ‚Pilotflugzeugen‘, die die Abwurfstellen mit sogenannten ‚Tannenbäumen‘ markierten, begann in ihrem Zielgebiet Hamburg das normale Leben eines Tages im fünften Kriegsjahr.
Straßenbahnen rasselten durch notdürftig instandgesetzte Straßen, besetzt mit Menschen, die zur Arbeit fuhren, oder von der Nachtschicht kamen. Hausfrauen eilten mit Taschen und Eimern zu Läden, die kaum als solche zu erkennen waren, um Lebensmittel oder sonstwas zu ergattern. Lastwagen und Pferdefuhrwerke belebten das Bild. Ab und zu war ein Militärfahrzeug zu sehen. Aus den Kellern mancher Ruinen stieg Rauch auf, der zeigte, daß hier Menchen wohnten.Es war wie an allen Tagen im letzten Jahr, seit die Angriffe 1943 einen Großteil der Stadt in Schutt und Asche gelegt hatten.
Die Villa in der vornehmen Enzianstraße verließen wir gleichzeitig. Wir waren Arbeitskollegen, die von der Behörde hier eingewiesen waren. Der Mann bewohnte mit seiner Frau eine kleine Einliegerwohnung und ich schlief in einem winzigen Dachzimmer auf einem Notbett.“Ist das ein herrliches Wetter“ sagte ich, „man sollte einen Urlaubstag nehmen und baden gehen.“ „Hm“ brummelte der Mann,“das geht nicht, wir haben genug zu tun.“
Schweigend gingen wir zum U-Bahnhof Lattenkamp, schweigend und unseren Gedanken nachhängend erreichten wir den Bahnhof Mundsburg. Als die Bahn hielt, kam eine Durchsage: „Sehr geehrte Fahrgäste, der Zug fährt nicht weiter, wir haben Voralarm. Suchen Sie bitte den nächsten Schutzraum auf.“ „Willst du in einen Bunker?“ fragte der Mann.“Nee, ich nicht“, war meine prompte Antwort, „wir gehen einfach zu Fuß weiter zur Firma. Da ist sowieso alles in Trümmern, also werden dort wahrscheinlich keine Bomben mehr fallen.“
Wir gingen weiter auf fast menschenleeren Straßen, zwischen Ruinen und notdürftig ausgebesserten Häusern. Als wir die Bürgerweide erreicht hatten, gab es Vollalarm. Ein Luftschutzwart, kenntlich an einer Armbinde, kam uns entgegen. „Vollalarm“ rief er, „dort ist ein Keller, kommen Sie schnell!“ „Wir haben es nicht mehr weit“ antwortete der Mann „wir schaffen es schon.“ Nun gingen wir beide etwas schneller. Heidenkampsweg, Kreuzung Eiffestraße, dann Wendenstraße, weiter, vorbei an der ausgebrannten Badeanstalt an der Süderstraße. Hier standen ein paar SS Leute mit dem Gewehr im Anschlag. Irgendwo im Hintergrund stand ein zusammengepferchtes Häuflein KZ Häftlinge, die von den SS Leuten offensichtlich bewacht wurden. Nach wenigen Minuten hatten wir das Gelände unserer Firma erreicht.
Kein Mensch war zu sehen. Zwei Lastwagen standen auf dem Hof,leer. Die Arbeiter und Kraftfahrer waren in den nächsten Bunker gegangen. Das flache, langgestreckte Gebäude hatte in der Mitte eine Eingangstür von der Straße und am Ende eines Korridores eine Tür zum Hof. Nachdem wir unsere Taschen abgestellt hatten, griff der Mann zum Telefon. Er wählte die Nummer des ‚Drahtfunks‘ und der ‚Onkel Baldrian‘ genannte Staatsrat Ahrens gab bekannt, daß ‚feindliche Kampfflugzeuge‘ im Anflug auf Hamburg seien.
„Geh‘ raus und paß‘ auf, wenn sie kommen“ ordnete er an. Ich stellte mich an die Tür zum Hof. Von Ferne war Flakfeuer zu hören. Im Osten, kaum sichtbar wegen der strahlenden Morgensonne, sah ich drei ‚Tannenbäume‘ leuchten und dann waren auch Bombeneinschläge zu hören. Der Mann blieb weiter am Drahtfunk und rief mir alle Neuigkeiten zu.
Als ich mit den Augen den Himmel absuchte, erschrak ich, denn aus dem Sonnenlicht löste sich ein Schwarm – ich zählte rasch 14 viermotoriger Bomber. Dreizehn glänzten silbern, aber einer sah aus wie von Ruß überzogen, duff-schwarz. Ich rief meinem Kollegen zu „da oben fliegen Bomber“ und mit Erschrecken sah ich, daß sich gerade über uns die Bombenklappen öffneten und eine lange Reihe Bomben herausfiel.
„Nun ist es aus“ sagte ich, aber der Mann beruhigte: „Wenn die Bomben hier über uns ausgeklinkt werden, schlagen sie je nach Flughöhe weit entfernt ein. Ich schätze mal so etwa 5 Kilometer.“ Inzwischen tauchten immer weitere Staffeln aus dem Sonnenglast auf, mal 13, mal 17 Maschinen stark. Und eine davon war immer schwarzduff. Irgendwann bei 200 hörte ich auf zu zählen, aber es kamen immer noch welche.
Die Flak schoss wie wild. Am Himmel zerplatzten viele kleine weiBe Wölkchen und hunderte, nein tausende der scharfkantigen Flaksplitter surrten und schwirrten um mich herum zur Erde.Auf dem Firmengelände gab es einen kleinen Unterstand aus Metall. Wir hielten uns beide unsere Taschen über den Kopf und rannten zu dem Unterstand, als wenn es etwas nütze. Das Aufschlagen der Flaksplitter auf das Schutzdach war jedoch so laut, daß wir sofort wieder zurückhasteten.
Von der Straßentür aus sahen wir weit hinter den Ruinen der Billstraße zwei dicke schwarze Rauchsäulen aufsteigen. „Die Raffinerieen in Wilhelmsburg“, sagte der Mann und ich nickte, „ja sicher, aber es sind bestimmt wieder auch Bomben daneben gefallen.“ Doch wir sahen noch etwas: Zwei Flugzeuge waren getroffen worden und trudelten langsam zur Erde. Aus einem löste sich noch etwas, das wie ein Motor aussah. Und dann schwebten auch noch fünf orangefarbene Fallschirme mit ihrer menschlichen Last herab. „Schade, daß sie nicht hier landen,“ bemerkte ich, „sicher haben sie Schokolade dabei“ – „und Zigaretten“ ergänzte der Mann.
Nachdem ‚Onkel Baldrian‘ und die Sirenen das Ende des Angriffs gemeldet hatten, kamen die Arbeiter und Kraftfahrer aus dem Bunker zurück. Sie waren sichtlich froh, zwei gesunde und auch ganz muntere Angestellte vorzufinden.
Etwa 5000m höher und einige Kilometer westlich flog eine Armada von Bombern ohne ihre tödliche Last und mit fast leeren Treibstofftanks zurück zu ihrem Heimatflughafen.
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