Hamburg-Wilhelmsburg, ein Flakturm mit vier 128mm-Zwillingskanonen, eine pro Turmecke, war für uns, die ehemaligen Monschauer Gymnasiasten, die dritte und letzte Stationierung, nach der Aktion in Aachen. In Aachen hatte uns die U.S.Artillerie den Stecker gezogen und nach einem Gastspiel in Langenbochum im Ruhrgebiet bei der Zeche „Schlegel & Eisen“ kamen wir schließlich hier in Hamburg an. Auf zur letzten Schlacht! Wir kamen am 14. November 1944 in Hamburg an. Als kleiner Junge war ich in dieser Stadt aufgewachsen und kannte mich gut aus. Was für ein Anblick war Hamburg jetzt! Die Binnenalster war mit Tarnnetzen bedeckt, der Hauptbahnhof hatte eine Abdeckung aus Strohmatten in Straßenbreite, und über der Außenalster hatte man mit ähnlichen Tarnmatten eine Attrappe der Lombardsbrücke errichtet. Aber die britischen Bomber hatten schon im Juli 1943 furchtbare Verwüstungen angerichtet…das war Luftangriff Nr. 70, das sogenannte „Gomorrha“-Unternehmen, 41.800 Einwohner verloren ihr Leben und 125.000 wurden getroffen, so die offizielle Statistik. Wir sammelten uns auf freiem Feld an der Rothenbaumchaussee, damals Hauptquartier der Luftwaffe, heute international bekannte Tennisplätze. Ein Teil unserer Gruppe wurde dem Flakturm in Wilhelmsburg zugeteilt. Es war mein heimlicher Wunsch, zur Geschützbedienung eingeteilt zu werden, und ich hatte das Glück, zugewiesen und als „K1“ ernannt zu werden, verantwortlich für die Seitenaufwicklung des Geschützes „Dora“.
Es erforderte technisches Verständnis und Fingerspitzengefühl, um die exakte Übereinstimmung zwischen den Doppelzeigern (die den Soll- und den Ist-Wert anzeigten) und der Drehgeschwindigkeit des kongruenten Zeigers – diese entsprach exakt der Drehgeschwindigkeit der Pistole – abzuwägen und zu halten. Man saß auf einem Metallsitz, wie auf dem Sitz eines Traktors, mit dem Handrad davor und der großen Skala des Doppelzeigers dahinter. Mit dem Handrad wurde die Rotationsgeschwindigkeit der Kanone eingestellt und mit dem „K2“ die Zielwinkelposition.
Es war eine Freude, dass alles mittels Servomotoren funktionierte, im Gegensatz zum 88mm-Geschütz, das notwendigerweise mittels Muskelkraft fokussiert wurde. Hier in Hamburg waren wir ständig auf dem Sprung. Jeden Abend gegen 20 Uhr gab es Fliegeralarm und man konnte seine Uhr danach stellen. Bomberverbände auf dem Weg nach Berlin nutzten die Elbmündung und den Fluss als Einflugschneise. Natürlich waren der Hamburger Hafen und die Öltanks und Raffinerien im Bezirk Harburg und hier in Wilhelmsburg regelmäßige Ziele dieser schweren Luftangriffe. Es gab höllische Kampfsituationen, aber man hatte gerade hier das Gefühl, dass man sich verteidigen konnte. Allerdings litten wir unter sehr schwierigen Kampfbedingungen, denn die Munition vom Kaliber 128 mm, die wir verschossen, stammte aus einer Munitionsfabrik, in der „Zwangsarbeiter“ und wahrscheinlich auch Häftlinge beschäftigt waren, die Sabotage betrieben. Sie sabotierten die Granate, indem sie sie anbohrten, so dass das Treibmittel und der Sprengstoff der eigentlichen Granate beim Abfeuern entzündet wurden. Das Ergebnis war im günstigsten Fall ein geborstener, im ungünstigsten Fall ein explodierender Lauf. Nach einem der zahlreichen schweren Luftangriffe fanden wir unser zerfleddertes Rohr in 100 m Entfernung in der Nachbarschaft wieder und es sah aus wie die Schale einer Banane, die in Streifen abgerissen worden war. In der Hitze des Luftangriffs hatten wir nicht sofort bemerkt, dass wir nur mit dem Stumpf des Fasses feuerten. Die Feuerrate war enorm: 7 Schuss pro Minute für jedes Geschütz bedeuteten insgesamt etwa 4000 Schuss pro Stunde.
Wir hatten zwar Ersatzfässer im Keller, aber das Fass mit dem Kran nach oben zu hieven und dann zu montieren (Position „Null“), dauerte einige Zeit, während wir nicht einsatzbereit waren. Das Auswechseln eines Laufes kam während meiner Zeit dort mehrmals vor. In Bezug auf die Geschützrohre erinnerte uns mein Freund Kurt an einen Vorfall: „In unserer letzten Batterie im Ruhrgebiet haben wir sogar einige Rohrexplosionen erlebt, von denen eine wirklich bemerkenswert war. Sie ereignete sich in der Nähe des Geschützverschlusssystems. Als die Granate explodierte, gab es sowohl von der Granate als auch vom Rohr Splitter, einige sogar in einer Größe von 50x20x10cm. Einer der Splitter schlug in einen der umliegenden Munitionsbunker ein. Abgesehen von zertrümmerten Trommelfellen wurde niemand ernsthaft verletzt. Einem der Kanoniere wurde der Helm abgerissen und wir scherzten später mit ihm über seinen hochgehenden Helm (zufälligerweise war zu dieser Zeit ein beliebter Schlager von Ilse Werner „Wir machen Musik – da geht euch der Hut hoch…“)
Der Schulunterricht war seit unseren Aachener Tagen im Juli 1944 kein Thema mehr. Die ständigen Fliegeralarme und -vorbereitungen machten es den Lehrkräften unmöglich, den Unterricht mit so vielen Unterbrechungen fortzusetzen. Jedenfalls hatten wir in Hamburg mehr Lehrlinge als Gymnasiasten. Es waren eifrige und zuvorkommende Burschen, von denen die meisten als Maschinenschlosser bei Blohm & Voß in den Werften oder in den Flugzeughallen auf Finkenwerder beschäftigt waren. Sie waren aus der Lehre entlassen worden und wurden von uns, den Schülern, mit ihrer praktischen Tätigkeit und ihrer realen Berufserfahrung sehr bewundert. In den Wochenendferien haben sie sich wie Fürsten herausgeputzt, in Bowler und feinen Klamotten, und sind mit ihren Verlobten und jungen Mädchen losgezogen. Beneidenswert! Diejenigen unter uns, die im Bunker blieben, holten ihr altmodisches Grammophon heraus und hörten Rosita Serranos „Roter Mohn…“ („Roter Mohn…“).
Der Flakturm Wilhelmsburg, baugleich mit dem in Wien, Arenberg Park, war das Neueste auf dem Gebiet der Sicherheit für den Geschützstab: Der Stab war vielmehr durch einen Bogen eines Stahlbeton-Daches geschützt. Vergleiche dazu das erste Bild „Turm aus der Vogelperspektive“.
Die Flakturmbatterien bestanden, wie die in Wilhelmsburg, aus zwei Türmen. Der Geschützturm, ein quadratischer Massivbau aus Stahlbeton mit einer Seitenlänge von 47 m und einer Höhe von 43 m, war im Innern in acht plus ein Stockwerk aufgeteilt, in dem die Bewohner der umliegenden Nachbarschaft bei Fliegeralarm in den unteren drei Stockwerken Zuflucht suchen konnten. Unser Quartier befand sich im 8. Stockwerk, über dem sich die Geschützplattform befand. In jeder Ecke der Plattform stand ein Zwillingsgeschütz in einem Rondell, mit Munitionsbunkern rundherum. Die Besatzung für ein Zwillingsgeschütz bestand aus 21 Kanonieren. Außerhalb des 7. Stocks gab es auch einen umlaufenden Balkon, auf dem ursprünglich leichtere Ack-ack-Waffen installiert werden sollten, die aber während meines Aufenthaltes nie installiert wurden. Wir mussten den Balkon einmal schrubben, aber nur zehn Minuten lang mit einer Zahnbürste wegen irgendeines Mickey-Mouse-Vergehens. In Hamburg war sonst kein Drill und kein Geplänkel angesagt…das hatten wir schon in Aachen ausgiebig ertragen.
Der andere Turm war der Feuerleitturm, etwas schmaler gebaut mit dem FuMG = Radargerät und B1, dem normalen Entfernungsmessgerät. (In diesem Turm war mein Freund Kurt beschäftigt). Ebenerdig zwischen den beiden Türmen, die in einem Abstand von etwa 160 m zueinander standen, befanden sich Baracken mit Kantine, Arbeitsschuppen, Friseur, Schuster und anderen Einrichtungen. Überall herrschte eine normale, vollständige Lageratmosphäre.
Wilhelmsburg, südlich zwischen der Innenstadt und dem Stadtteil Harburg gelegen, war vom eigentlichen Stadtzentrum Hamburgs mit seinem Hafen und der Alster ein gutes Stück entfernt. Eine zweite Turmbatterie befand sich im Stadtteil St. Pauli, Feldstraße, in unmittelbarer Nähe zur Reeperbahn (allen Seefahrern der Welt bekannt, die jemals in Hamburg angelegt haben), und deren umliegenden Straßen, die damals das Zentrum des Schwarzmarktes waren, insbesondere die Talstraße. Wer dort im Turm stationiert war, hatte den Vorteil, nicht allzu weit vom Zentrum von St. Pauli entfernt zu sein.
Eines Tages lieferte ein Lastwagen eine Ladung Cognac in unseren Turm, wo er zur Sicherheit gelagert und für eine geplante Festlichkeit der „Untergruppe Hafen“, also des Hafenpersonals der Luftwaffe, verwendet werden sollte. Die Kisten wurden mit einem der Fahrstühle nach oben befördert. Es stellte sich heraus, dass die hellen Waffenspezialisten die Lagerung aufmerksam verfolgten und eine Kiste zur Seite stellten. Es war die erste Kiste der Ladung, und sie wurde in Sekundenschnelle geöffnet und die Flaschen unter uns verteilt. Auf der unteren Ebene waren die 30 Kisten auf dem Aufzug gestapelt und auf der oberen Ebene wurde die 29. Kiste abgerechnet…aber auf die 30. Kiste wartete man vergeblich. „Die steckt bestimmt irgendwo auf dem Aufzug fest…“. Doch inzwischen war sie völlig verschwunden.
Einer der älteren Kanoniere in einer der Geschützmannschaften, der etwas um die Kurve war, war das Objekt von viel Beinarbeit. Er war im Zivilleben Maurer gewesen. Einige der Jungs überredeten ihn, ein Betondach auf die Toiletten zu bauen, um zu verhindern, dass jemand, der die Toiletten während eines Luftangriffs benutzte, von Splittern getroffen wurde. Sie erzählten ihm, dass er für einen Orden empfohlen worden sei, weil er selbst die Notwendigkeit vorausgesehen und das Dach auf die Toilette gebaut habe (die Dicke der Decke darüber betrug übrigens 3,5 m). Der Dumme glaubte ihnen und das führte dazu, dass er vom Kommandanten angeschnauzt wurde.
Unsere Unterkunft befand sich im 8. Stockwerk, dem obersten Stockwerk des Turms, und jedes Zimmer beherbergte 6 oder 8 Mann, entsprechend der allgemein üblichen Baracken-Zimmereinteilung. Wie es der Zufall wollte, befand sich in unserem Zimmer eine unauffällige Tür, deren Kenntnis durch absolutes Stillschweigen geschützt war und außer uns nur vertrauenswürdigen und diskreten Kameraden zur Kenntnis gebracht wurde. Durch diese Geheimtür hatten wir freien Zugang zum Eingang eines Schachtes, der mehrere Kabel und Rohre enthielt. Dieser quadratische, schornsteinähnliche Aufbau hatte Sprossen an der Wand gegenüber der Tür und reichte vom Keller bis zur obersten Plattform. Wir benutzten diese Geheimtür immer dann, wenn wir für eine kleine Pause in unserer Routine hinausgehen wollten und keinen offiziellen Militärpass hatten, den wir der Wache an der Haupttreppe zeigen konnten. So konnten wir nach 20 oder 30 Sprossen abwärts, auf der nächsttieferen Etage, aussteigen und von dort aus die Treppe benutzen. Unten hat niemand nach einem Ausweis gefragt, da das Treppenhaus für Schutzsuchende während eines Luftangriffs offen gehalten wurde.
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