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Archiv für den Monat: August 2020

Die größten Trends der Beauty-Branche

Die Schönheitsindustrie befindet sich seit Jahren im Aufwind. Es gibt einige Teilmärkte, die Ausnahmen sind, wie die Massenkosmetikmärkte, aber insgesamt trotzt das Geschäft mit der Schönheit weiterhin der Schwerkraft. Sogar Multimarkengeschäfte, die in anderen Konsumsektoren eine fragwürdige Zukunft haben, entwickeln sich gut. Stefano Curti, Global President von Markwins Beauty Brands, wies mich darauf hin, dass die Hälfte des Wachstums in der Schönheitsbranche online stattfindet. Das bedeutet aber auch, dass die Hälfte des Wachstums in den Geschäften stattfindet. Es ist schwer, ein anderes Marktsegment zu finden, auf das das zutrifft.

Es gibt drei einzigartige Umstände, die die Schönheitsbranche weiterhin stützen:

Die Verbraucher, meist Frauen, sind auf einer Entdeckungsreise. Sie erfreuen sich an neuen Produkten und entdecken neue Marken. Dies ist Teil eines größeren Generationswechsels, bei dem jüngere Verbraucher die großen Marken, die ihre Eltern bevorzugten, ablehnen und nach lokal hergestellten, handwerklichen und natürlichen Produkten in allen Verbraucherkategorien suchen. Das Bedürfnis, jederzeit auf Instagram präsent zu sein, hilft ebenfalls.

Junge, unabhängige Marken (großartige Beispiele sind unten aufgeführt) unterstützen einen Kreativitätsschub. Es scheint, als gäbe es jeden Tag eine neue Marke mit einer neuen Idee, wie man schön werden oder bleiben kann. Das Unternehmertum kocht in der Schönheitsindustrie über. Diese jungen Marken werden durch den physischen Einzelhandelskanal für Schönheit unterstützt.
Die Übernahmen von immer kleineren Unternehmen zu sehr hohen Preisen durch die großen Beauty-Unternehmen ziehen jeden Tag mehr Gründer an und fördern die Kreativität. Die Übernahmen finden statt, weil die großen Beauty-Marken von den jungen, unabhängigen Marken bedroht sind, die die Verbraucher jetzt wollen.

Diese oder ähnliche Umstände sind in anderen Verbraucherbranchen schon vorgekommen. Das geht nicht ewig so weiter. In der Schönheitsindustrie läuft es schon lange, und obwohl es sicher ist, dass es irgendwann zu Ende geht, kann man nicht sagen, was den Tiefpunkt auslösen wird oder wann das passieren wird.

Ich habe mich mit Jennifer Hessel, einer Branchenberaterin und L’Oreal-Absolventin, unterhalten, die mir sagte, dass es vier große Trends gibt, die sich die am schnellsten wachsenden, jungen Marken jetzt zunutze machen:

The Instant Fix: Dies bezieht sich auf den uralten Wunsch nach sofortiger Befriedigung, konzentriert auf das Hautpflegesegment. Produkte, die es dem Verbraucher ermöglichen, eine sofortige Verbesserung von Tränensäcken, Fältchen oder Aufhellung zu sehen, fallen oft in diese Kategorie.

Der Puppen-Look: Durch starkes Make-up oder chirurgische Eingriffe wird ein Look geschaffen, der eher porzellanartig, glatt und perfekt ist. Es wird nicht angestrebt, natürlich auszusehen – es geht um Makellosigkeit und hat in der Make-up- und Haarbranche tiefe Wurzeln geschlagen. Erst kürzlich hat L’Oreal den Kunden meiner Firma, Pulp Riot Hair, übernommen – ein perfektes Beispiel für diesen Trend.

Hautpflege aus der Erde: Die Hautkategorie explodiert weiter mit immer mehr natürlichen, sauberen und sogar lebensmittelkonformen Produkten. Es besteht die Auffassung, dass Haut und Geist miteinander verbunden sind und dass es eine Verbindung zwischen Hautpflege und Wellness gibt. Das ist die entgegengesetzte Richtung zu der, in die sich Make-up entwickelt.

Individualisierung und Personalisierung: Die Nutzung von Daten und Kundeninput, um Produkte für ein eigenes Universum zu kreieren, ist eine neue Form von Luxus.
Ende dieses Monats findet in New York eine Konferenz namens Beauty & Money statt, auf der sich alle oben genannten Trends herauskristallisieren. Beauty & Money bringt Investoren und junge Beauty-Unternehmen zusammen. Im Vorfeld der Konferenz haben die Organisatoren einen Wettbewerb mit einer Jury aus Experten der Beauty-Branche durchgeführt, um 12 Startup-Stars auszuwählen. Alle diese Unternehmen passen zu den oben genannten Trends.

Die Operation Gomorra Die roten Nächte der tausend Steine

Es scheint mir angebracht, zu Beginn ein paar einleitende Erklärungen zu geben. Natürlich ist mir und wahrscheinlich auch vielen anderen Deutschen klar, dass anderen Völkern unter dem Hitler-Regime furchtbare Schrecken widerfahren sind. Niemand kann sich davon völlig freisprechen. Was aber in der Nacht vom 27. auf den 28. Juli 1943 über Hamburg hereinbrach, war in seiner Art einmalig: Die Bombardierung der Hamburger Bevölkerung war von langer Hand geplant und in ihren monströsen Folgen unvorhersehbar.1)

Der Zeitpunkt der Luftschutzwarnung in der Nacht des schrecklichen Feuersturms in Hamburg war 23:40 Uhr. Ein heißer Orkansturm fegte durch Hamburg und zerstörte Straßen und schleuderte alles, was nicht genietet oder genagelt war, durch die Luft…verkohlte Holzstücke, zerfetzte Kleidungsstücke, verbranntes Papier und Laub. Die Sonne war nicht zu sehen und ein 7 km hoher schwarzer Rauchpilz stand über der Stadt. Es war der 28. Juli 1943, der Tag, nachdem ein kolossaler Feuersturm durch die Straßen gewütet hatte, ein Feuersturm, wie ihn keine andere deutsche Stadt während des Krieges je erlebt hatte. Die Luftgeschwindigkeit über den Häusern betrug zeitweise 45m/sec, in 7 km Höhe waren es 60m/sec. In den Straßen, durch die der Feuersturm tobte, bogen sich die Wipfel der Bäume fast bis zum Boden. Dort tobte ein Orkan von extremer Wucht. Am Berliner Tor in der Wallstraße wurden Bäume mit einem Durchmesser von 30 cm einfach entwurzelt, und in anderen Straßen hatten die entwurzelten Bäume einen Durchmesser von fast 50 cm. Es wütete wie eine Art Windwirbel durch viele Straßen, und die Menschen, die dort hineinliefen, wurden im Nu verbrannt wie in einem glühenden Schmelzofen. Es blieb entweder ein kleines Häufchen Asche übrig oder man fand eine schwarze mumifizierte Gestalt, viel mehr blieb nicht übrig. Im Zentrum des Feuersturms wurde eine Temperatur von 800° C. gemessen. 2)

Das Bombardement begann für uns Hamburger mit all seinem Schrecken. Es gab Nächte, in denen wir uns gar nicht ausziehen konnten, da wir zwei- oder dreimal in den Luftschutzkeller gehen mussten. Der Koffer mit den wichtigen Papieren und den nötigsten Habseligkeiten blieb jedenfalls unten im Keller. An Schlafen war in solchen Nächten nicht zu denken, trotz der im Schutzraum aufgestellten Betten. Trotzdem war für viele, auch für mich, der nächste Tag ein Arbeitstag und wir mussten wieder zur Arbeit gehen. Jahrelang war unser Leben sicherlich von der Angst geprägt, von einer Bombe getroffen zu werden, von der Angst, auf etwas zu warten, das von oben kommen könnte. Trotzdem ging das Leben weiter, so gut es eben ging. Es gab noch Kinos, Konzerte und Theater, und niemand ahnte damals, dass im Sommer 1943 eine furchtbare Katastrophe über uns hereinbrechen würde. Sie war so entsetzlich und einzigartig, dass wohl niemand, der sie überlebt hat, auch nach 50 Jahren dieses Inferno je vergessen wird. Es gibt auch heute noch viele Menschen, die nicht darüber sprechen können, so schrecklich war das Erlebnis.

1942, nachdem ich bei meiner Firma gekündigt hatte, begann ich als Sachbearbeiter im Kommissionsdienst in der Brinkman-Kaserne in Wentorf bei Hamburg. Da ich noch ledig war, musste ich mir, wie andere unverheiratete junge Mädchen, eine Beschäftigung als Wehrmachtshelferin suchen. Zu diesem Zweck verbrachte ich einige Ausbildungsstunden beim 10. Generalkommando. Wir sollten mit einer Einheit nach Oslo und später nach Narvik transportiert werden. Es war mir klar, dass kaum eine dieser Unternehmungen stattfinden würde. Es herrschte Krieg mit Norwegen und im Atlantik tobte der U-Boot-Krieg. Dabei hatte ich noch Glück. Zu dieser Zeit traf ich einen Freund wieder, mit dem ich schon seit unserer Zeit in den vier Jahren, in denen wir zusammen in einem Jugendorchester spielten, bekannt war. Meine Schwester und ich gingen in das „Haus Vaterland“ zu einem Tanz (mit Varieté). Wie es der Zufall so wollte, kam es zu einem Treffen und der Absicht „sich kennenzulernen“ und zu einer baldigen Verlobung und nach kurzer Zeit zu einer Heirat. Dadurch blieb mir die Versetzung mit der Wehrmacht nach Norwegen erspart.

Im Februar 1943 wurde unser erster Sohn Harald geboren. Leider erlebte er oft die häufigen Luftangriffe. Jedes Mal mussten wir den Kleinen im Kinderwagen aus dem zweiten Stock in den Luftschutzkeller transportieren. Wir waren noch sehr jung und das hat uns nicht gestört. Aber in der Nacht des schrecklichen Feuersturms war der Kinderwagen vermutlich die Rettung für das Baby! Ohne diese „Umhüllung“ für ein kleines Baby von 5 Monaten wäre unser Ältester heute nicht mehr am Leben.Um 23:40 Uhr in der Nacht des 27. Juli 1943 begann der Luftangriff, bekannt als Operation „Gomorra“. Es war der 142. Luftangriff. Luftangriff. Die Sirenen heulten, und kein Hamburger konnte in diesem Moment ahnen, welche Katastrophe ihn erwartete… Mein Vater war damals Kassenführer des NS-Wohlfahrtsverbandes und für die Abrechnung der Gelder aus Straßensammlungen zuständig. Außerdem war er bei Fliegeralarm für den Telefondienst in der Verwaltungsstelle in der Bankstraße zuständig. In der Bankstraße gab es zu dieser Zeit fast nur große, solide 4-stöckige Häuser. Die Bankstraße verlief parallel zur Danielstraße, in der wir bei meinen Eltern eine 2-Zimmer-Wohnung hatten, mit separaten Eingängen. Die Danielstraße gibt es nicht mehr; sie war nach dem Krieg um 6m erhöht worden…wie der gesamte Südhammerbrook.

Mein Vater blieb noch etwa eine Stunde mit uns im Luftschutzkeller, aber er hatte ein ungutes Gefühl und wollte seine „Pflicht“ nicht verletzen. Nachdem das Bombardement der britischen Flugzeuge nachgelassen hatte, ging mein Vater doch noch in die Banksstraße (er musste auch mal in den Rinnstein kriechen). Wir werden ihn nie wieder sehen! Unsere Eltern hatten gerade am 20. Juli, eine Woche vor dem Feuersturm, ihre Silberhochzeit gefeiert. Alle Blumen, hauptsächlich Rosen, schwammen in der Badewanne, die mit Wasser gefüllt war. Schon viele Wochen vor dem Feuersturm hatten wir eine furchtbare Hitzewelle ohne nennenswerten Niederschlag gehabt. Die Ratten tummelten sich in den ausgetrockneten Kanälen!Bis jetzt hatten wir das Fallen der Bomben rundherum, das Dröhnen der einschlagenden Bomben und das Zittern der Wände und der Böden überlebt. Jeder, der so etwas erlebt hatte, kannte die Merkmale einer herunterpfeifenden Bombe: Wann immer ein Mensch ein „Singen“ oder „Pfeifen“ hört, ist es egal, ob er sich in einem Keller oder in einem Wohnzimmer befindet, der Einschlag der Bombe ist in einiger Entfernung. Traurig wird es aber, wenn der Luftdruckknall wahrnehmbar ist (ganz unangenehm); dann fallen die Bomben direkt in der Nähe! Man hört kein Dröhnen, nichts! Nur diesen furchtbaren Luftdruckstoß; wie oft haben wir das erlebt!Zuerst bekamen wir nur etwas von dem furchtbaren Feuersturm ab ca. 2 Uhr mit, von dem wir im Luftschutzkeller des kleinen Hauses umgeben waren. Panik machte sich breit, als der Sauerstoff knapp wurde.

Das Licht brannte schon nicht mehr, die Kerzen als Notbeleuchtung hatten nicht mehr genug Luft zum Brennen, und es wurde unerträglich heiß. Mein kleines Baby wurde in seinem Kinderwagen mit einer nassen Wolldecke zugedeckt, damit es nicht erstickte. Gott sei Dank hatten wir noch einen Krug mit Wasser. Ich weiß nicht warum, aber plötzlich hatte der Teufel von mir Besitz ergriffen…ich wollte noch einmal in unser Haus gehen! Vielleicht, dachte ich, könnte ich noch einige Dinge herausholen, wie Papiere, Fotos und solche Dinge. Aber als ich im Flur stand, knisterte schon die Decke, und ich wollte zum Schreibtisch meines Vaters im Wohnzimmer gehen, aber dort sah ich nur Feuer. Die lodernden und brennenden Vorhänge flogen in den Raum, die Fensterscheiben barsten und es zischte und krachte überall um mich herum. Die wenigen Schritte zum Schreibtisch, der am Fenster stand, konnte ich nicht bewältigen, meine Beine fühlten sich wie gelähmt an. Während ich aus der Wohnung stürmte, hatte ich nicht einmal einen Artikel aus dem Kleiderschrank geholt. Ich war in einer solchen Panik, dass ich so schnell wie möglich in den Schutzraum eilte. Die Straßen brannten bereits, der Feuersturm tobte nun durch alle Straßen! Wir erreichten gerade noch die Tür des Luftschutzkellers. In diesem Moment schnappte etwas in einem Nachbarn auf und, von Panik ergriffen, nahm er seine Bettdecke und wollte hinaus. Keiner von uns konnte ihn aufhalten. Wir sahen ihn noch, aber nur noch als lebende Fackel, vom Feuersturm getragen, durch die Luft fliegen“. Wir waren alle zutiefst schockiert darüber.Unsere Situation war zu diesem Zeitpunkt fast aussichtslos. Wir waren von Feuer umgeben und würden wahrscheinlich an Unterkühlung oder Kohlenmonoxidvergiftung sterben. Allmählich machte sich Verzweiflung in uns breit, und wir mussten über unsere Lage nachdenken. Abgesehen von dem Feuersturm, der von Brandbomben, Phosphor und Flüssigkeitskanistern ausging, und dem Orkan, der durch die Straßen tobte, stand gegenüber unserem Wohnhaus ein großer Holzbetrieb, der in der Feuerhölle für zusätzliche Gewalt sorgen würde. Es war eine Tatsache, dass dahinter der Kammer-Kanal lag, aber wie sollten wir den erreichen? Oder auf die andere Seite, auf die Straße namens Stadtdeich und die Oberelbe? Das war in diesem Moment eine Fata Morgana! Im letzten Moment kam ein Nachbar auf die Idee, einen lebensrettenden Ausbruch durch die halb versteinerte Mauer zu versuchen. Mein Mann erinnerte sich an eine spitze Spitzhacke, die in einer Ecke stand. Und das war unsere Rettung! Die Männer hämmerten ein Stück der Mauer heraus und wir testeten, ob der Kinderwagen durchpasst – und das tat er! Wir kamen am Stadtdeich heraus, aber in eine donnernde, lodernde Hölle. Die Straßen brannten, die Bäume brannten und ihre Wipfel bogen sich bis auf die Straße hinunter, brennende Pferde aus dem „Hertz“-Fuhrbetrieb liefen an uns vorbei, die Luft brannte, einfach alles brannte!

Der Wirbelsturm war so stark, dass wir kaum atmen konnten, und ich weiß noch heute, dass ich meiner Mutter zubrüllte: „Fall nicht hinunter!“ Unser Ziel war der Hafenschuppen an der Elbe, eine Entfernung von einigen hundert Metern. Wir erreichten ihn und warteten dort bis zum Morgen. Oben, auf dem Boden des Schuppens, brannten riesige Rollen Zeitungspapier, aber die Männer konnten sie löschen. Danach, gegen Morgen, ließ das Tosen des Feuersturms nach, und einige Männer wagten sich auf die Straße und fanden in der Danielstraße, wo ein einziges Haus stand, eine Sektkellerei(!), und brachten uns eine Flasche. Infolge der Hitze hatten wir einen unglaublichen Durst! Zum Glück konnte ich meinen Kleinen stillen, und ich hatte auch eine Flasche Milchnahrung und Baby-Unterwäsche unter der Matratze des Kinderwagens versteckt.Da der Feuersturm fast eine Stunde nach dem Alarm begann, wütete er etwa zwei bis drei Stunden lang, zwischen 1 Uhr und 4 Uhr morgens, durch die Straßen Hamburgs. Zwischen 4 und 5 Uhr morgens flaute er ab. Am folgenden Tag war der Himmel bis in den späten Abend schwarz. Hamburg war bis zu einer Höhe von 7 km mit einer schwarzen Rauchwolke bedeckt.

Gegen Morgen, als der Sturm nachließ, wagte ich mich mit einigen Frauen ein paar Meter hinaus auf die Straße, aber von „frische Luft schnappen“ konnte keine Rede sein. Überall brannten Häuser, selbst auf den Straßen war es unerträglich heiß! Trotzdem mussten wir weg von hier, und wohin, das war egal. In diesem Moment wurden wir Zeuge einer schrecklichen Sache: Wir schauten auf unsere Straße, die Danielstraße, die parallel zum Stadtdeich verlief und an der sogenannten „Sonnenburg“ endete, einer Straßenfront mit großen Balkonen und einem großen Restaurant im Erdgeschoss. Etwa 10 bis 15 Personen kamen aus der Ausgangstür, beladen mit Hausrat, Matratzen, Decken und so weiter. Genau in dem Moment, als sie ins Freie traten und fast in Sicherheit waren, stürzte die große, vier Stockwerke hohe Hausecke ein und begrub sie alle unter sich! Das ist ein Anblick, den ich nie vergessen werde!

Nichts war wichtiger, als wegzukommen: zum Wasser auf der Oberelbe am Stadtdeich, dann zur Anlegestelle für den Raddampfer aus Basedow. Die Elbe war übersät mit unzähligen Wrackteilen, aber kein Dampfer kam. Große Leichter, große offene Schiffe wie Lastkähne, kamen, und das war unsere Rettung! Und die Menschen kamen zu Hunderten aus Hammerbrook aus ,allen Richtungen, verbrannt, verwundet, hauptsächlich Frauen mit Kindern. Während wir noch darauf warteten, dass sich ein Feuerzeug füllte, kam ein Flugzeug und feuerte auf uns. Wir hatten Glück, denn der Angriff richtete sich auf einen Transportzug, der auf der nahen Elbbrücke unterwegs war, wahrscheinlich ein Truppenzug oder ein Gefangenenzug. Die Hälfte des Zuges stürzte in die Elbe!

Der Leichter sollte nach Lauenburg fahren, und was sich auf der Fahrt an Bord abspielte, ist kaum zu beschreiben. Es gab kein Verbandsmaterial, nur Papierbinden. Ich half einer jungen Mutter, ihr halb verbranntes Baby mit meiner behelfsmäßigen Mullwindel zu verbinden. Mehr konnten wir nicht tun. Sie kam aus dem dichtesten Hammerbrook-Hof und hatte beim Weglaufen ihre 5-jährige Tochter verloren, die von Trümmern lebendig begraben worden war. Die Frau und auch die anderen befanden sich alle in einem Schockzustand. Wir blickten noch einmal zurück auf unser kaputtes und geliebtes Hamburg, über dem sich ein riesiger Atompilz ausbreitete, als wolle er sagen: Ich werde das ganze Grauen, das heute Nacht über Hamburg hereingebrochen ist, für immer zudecken! Es fällt mir immer noch nicht leicht, von diesem furchtbaren Ereignis zu erzählen, und doch befreit es mich in gewisser Weise von einer Last, die ich schon seit 50 Jahren mit mir herumtrage.

Das Zentrum des Feuersturms lag nun nur noch wenige hundert Meter von unserem zerstörten Stadtteil entfernt; etwa im Bereich Süderstraße/Grevenweg/Ausschlägerweg (meine alte Schule!). Es wurde geschätzt, dass in dieser einen Nacht 41.800 Menschen starben. Die Zahl der angreifenden britischen Flugzeuge betrug etwa 790. (Die Amerikaner griffen meist tagsüber an). Etwa 2230 hochexplosive Bomben und 325.000 Brandbomben wurden abgeworfen. Erst Anfang Oktober waren alle Brände endgültig gelöscht. Der gesamte Bereich Hammerbrook, einer der am dichtesten besiedelten Stadtteile Hamburgs, war zum Sperrgebiet erklärt worden. Mehr als 90% von Hammerbrook war zerstört.

Unser Feuerzeug kam irgendwann in Lauenburg an und der ganze Steg und die Umgebung roch nach verbrannten Menschen; es war schrecklich! Die Lauenburger Bürger halfen aufopferungsvoll und nahmen Hunderte von verzweifelten Menschen auf. Wir wurden von einem netten Ehepaar aufgenommen, und zum ersten Mal konnten wir uns ausruhen und uns um mein Baby kümmern. Die Frau hat extra eine Torte gebacken, denn am nächsten Tag hatte ich Geburtstag… ich würde 24 Jahre alt werden. Leider konnte ich nichts davon bei mir behalten und als ich mich erbrechen musste, stand fest, dass ich wieder schwanger war. In dieser Situation eine niederschmetternde Erkenntnis! Bis heute weiß ich nicht, welcher Teufel mich besessen hat, ausgerechnet am nächsten Tag, meinem Geburtstag, dem 29. Juli, kehrte ich noch einmal in das ramponierte Hamburg zurück, um meinen Vater zu besuchen. Meine Mutter war mit Wäsche waschen beschäftigt, denn alles roch nach Rauch, und mein kleines Baby musste auch versorgt werden. Mein Mann konnte nicht mehr in seine Schuhe steigen, denn seine Fersen waren beim Löschen des Feuers in dem Loch, durch das wir gerettet worden waren, von Phosphor verbrannt worden.So machte ich mich allein auf den Weg und fuhr mit einem Feuerzeug nach Hamburg bis zum Stadtdeich. Und dann ging meine Suche los. Zuerst ging ich zurDanielstraße.Alles, wirklich alles, war eine einzige Trümmerlandschaft. Man konnte die Sonne nicht erkennen, der riesige Rauchpilz verdunkelte noch den Himmel, es war eine unheimliche Stille; fast gespenstisch. Und es war heiß, die Hitze kam aus den Kellern, ausgebrannten Häusern und aus höhlenartigen Löchern, wo Fenster gewesen waren. Es wäre viel besser gewesen, wieder umzudrehen.

Ich stand vor den Trümmern unserer abgebrannten Häuser, dann wagte ich mich in den Luftschutzkeller. Seltsamerweise war die schwere eiserne Pralltür offen, die Tür, die wir in jener schrecklichen Nacht nicht aufbekommen hatten und die uns fast zum Verhängnis geworden wäre. Ich warf einen Blick in den kleinen Raum und mir standen die Nackenhaare zu Berge. Komplette hölzerne Stützpfeiler waren zu einem kleinen Haufen Asche verbrannt. Nicht durch Feuer, sondern durch die abnorme Hitze! Keiner von uns hätte diese Hitze überleben können, alle wären durch Kohlenmonoxid oder Unterkühlung zu Tode gekommen. Nach dieser schockierenden Erkenntnis machte ich mich auf den Weg zur Banksstraße, die parallel zur Danielstraße verlief. An der Ecke Amsinckstraße/Lippeltstraße traf ich zufällig einen Kollegen meines Vaters; für mich war das wie ein Wunder. Er gab mir wieder etwas Hoffnung; es bedeutete, dass außer ihm noch einige andere aus dem Luftschutzkeller gekommen waren und zur Moorweide, dem großen Sammelplatz für Ausgebombte am Dammtorbahnhof, gegangen waren. Also, weg war ich! Doch was mir so leicht erschien, war ein absoluter Horror. Schon auf der Banksstraße wurde mir ängstlich bewußt, daß der heiße Sturm noch immer leichtes Holz und Papier und andere Dinge durch die Luft blies.

Mitten auf der Straße stand ein verbranntes Feuerwehrauto, und am Bordstein lagen die verkohlten, unkenntlichen, geschrumpften Überreste von Menschen…es war schrecklich! Zum zweiten Mal in meinem Leben rettete mich ein glücklicher Zufall aus einer ähnlichen Situation. Ich ging auf die rechte Seite der Straße, den Bahndamm entlang. Im gleichen Moment stürzte das vierstöckige Gebäude, in dem unser Hausarzt, Dr. Reuter, seine Praxis hatte, mit gewaltigem Getöse bis zur Straßenmitte ein. Wäre ich auf der linken Straßenseite gegangen, hätten mich meine Verwandten nie mehr gefunden. Niemand weiß, wie viele Leichen oder Leichenteile unter diesem Gebiet liegen, zumal hier nach dem Krieg ein 6 m hoher Trümmerhaufen abgelagert wurde. Hammerbrook war wochenlang ein Sperrgebiet. Diesen Schrecken musste ich erst einmal verdauen; meine Knie wurden ganz schwach und es wurde schwierig, weiterzugehen. Und doch schaffte ich es bis zur Mönckebergstraße, Hamburgs Hauptgeschäftsstraße im Zentrum der Stadt. Überall waren Ruinen und Verzweiflung, umherirrende Menschen; es war ein deprimierender Anblick. Auf der Höhe des Karstadt-Kaufhauses musste ich eine Pause einlegen; weiter ging die Straße ohnehin nicht, denn mitten auf der Fahrbahn klaffte ein riesiger Bombenkrater.

So setzte ich mich erschöpft auf die Stufe eines Ladens, oder was von dem Laden übrig war, und musste weinen. Ja, die Tränen liefen mir über die Wangen…so sieht unsere ehemals schöne Stadt Hamburg aus! Diese Erkenntnis war so schmerzhaft, so hoffnungslos, dass ich mir überhaupt nicht vorstellen konnte, jemals wieder durch schöne, anständige Straßen gehen zu können.Aber ich wollte unbedingt meinen Vater suchen und hoffte immer noch, dass ich ihn finden würde. So kam ich über den Jungfernstieg, den schönen Alsterpavillion, der eine riesige ausgebrannte Ruine war, bis zur Moorweide am Dammtorbahnhof. Auf dem Platz war eine riesige Menge verzweifelter Menschen, die auf einen Transport warteten, entweder nach Schleswig Holstein, in den Süden, oder noch weiter weg. Sie standen da, schlurfend mit ihren letzten Habseligkeiten, mit Kisten auf Karren und Bündeln von Bettzeug auf Fahrrädern; sie hatten alles verloren, so wie ich. Unter ihnen hatten sich riesige Berge von Brot aufgebaut, auch Butter und andere Lebensmittel. Welch ein Wahnsinn, die Butter war in der Hitze geschmolzen! Und in diesem Gewühl von Tausenden von Menschen wollte ich meinen Vater finden. Ein Ding der Unmöglichkeit, wie ich nach einiger Zeit feststellte. Also machte ich mich auf den Rückweg, zurück durch die zerstörten Häuser und Straßen. Am Nachmittag, besiegt, kam ich mit dem Feuerzeug wieder in Lauenburg an.

Auszug aus dem Buch „Hamburg, Juli 1943 von Martin Middlebrook“; Seite 99 bis 100.
An einem Morgen Anfang der 90er Jahre wurde in London ein Denkmal „für herausragende Dienste“ für Sir Arthur Harris, Air Chief Marshall der Royal Air Force Großbritanniens, enthüllt. Es besteht kein Zweifel, dass Sir Arthur Harris an diesem Morgen nur ein Hauptziel hatte…Hamburg. Glücklicherweise hat ein sehr wichtiges Dokument den Krieg überlebt. Es handelt sich um einen Brief vom 27. Mai 1943 von Harris an die Kommandeure seiner sechs Bombergruppen, in dem er seine Absichten erläutert.

STRENG GEHEIM: Bomber Command Operation Orders, No.173. Ausgestellt am 27. Mai 1943.
1) Die Bedeutung Hamburgs, der zweitgrößten Stadt Deutschlands mit eineinhalb Millionen Einwohnern, ist bekannt und braucht nicht besonders betont zu werden. Die totale Zerstörung dieser Stadt würde durch die Verringerung der industriellen Kapazität der gegnerischen Kriegsmaschinerie immense Auswirkungen haben. Dies würde, zusammen mit der Wirkung auf die deutsche Moral, die im ganzen Lande zu spüren sein wird, eine sehr wichtige Rolle bei der Verkürzung des Krieges und damit bei dessen Sieg spielen.

2) Die „Schlacht um Hamburg“ kann nicht in einer einzigen Nacht gewonnen werden. Es wird geschätzt, daß mindestens 10000 Tonnen Bomben erforderlich sein werden, um die Auslöschung zu vollenden. Um die maximale Wirkung der Luftangriffe zu erzielen, muß die Stadt einem kontinuierlichen Angriff ausgesetzt werden.

3) Beteiligte Streitkräfte. Die Kräfte des Bomberkommandos werden aus allen schweren Bombern der einsatzfähigen Staffeln und den mittleren Bombern bestehen, vorausgesetzt, es herrscht ausreichend lange Dunkelheit, um ihre Teilnahme zu ermöglichen. Es ist zu hoffen, daß schwere Tagesangriffe, durch das 8. Bomber Command der Vereinigten Staaten von Amerika, den Nachtangriffen vorausgehen bzw. folgen

.4) Zweck: Hamburg zu zerstören.Auszug aus dem Buch „Hamburg, Juli ’43“, von Martin Middlebrook. Aus dem Schutzumschlag des Buches: „Der verwundbare Punkt in der deutschen Bevölkerung während des Krieges ist die Moral der Zivilbevölkerung gegenüber Luftangriffen… Solange diese Moral nicht gebrochen ist, wird es nicht möglich sein, Landstreitkräfte auf dem europäischen Festland mit Aussicht auf Erfolg zu platzieren.“ So fasste Air Marshal Sir F.A.Portal, einer der Strategen des britischen Bomber Command, die Gründe für die Angriffe auf die zivilen Ziele in den dicht besiedelten deutschen Städten zusammen. In vier Nächten, in der Zeit vom 24. Juli bis zum 3. August 1943, war Hamburg das Ziel erfolgreicher Luftangriffe von Bombern auf eine deutsche Stadt. In der „Schlacht um Hamburg“ wurden 45000 Menschen getötet, darunter 22500 Frauen und 4500 Kinder. Allein in der Nacht vom 27. zum 28. Juli, der Nacht des großen Feuersturms, wurden 40000 Menschen getötet. „Im Zentrum dieser ‚Feuerhölle‘ herrschte eine Temperatur von 800 º C. Die Luft wurde mit großer Geschwindigkeit aus allen erreichten Richtungen durch die Kraft des Orkans gesaugt. Das war der Feuersturm.

Auszug aus dem Buch, „Hamburg, Juli ’43“, von Martin Middlebrook; Seite 306, erzählt von einem Besuch von Anne Lies Schmidt in Hammbrook, um ihre Eltern nach dem „Feuersturm“ zu finden : Ich ging zu Fuß weiter in das Grauen hinein. Niemand durfte die zerstörte Gegend betreten. Ich glaube, dass angesichts solcher Opfer der Wille zum Widerstand wächst. Wir kämpften mit dem Kommandanten der Straßensperre und kamen durch. Mein Onkel wurde verhaftet.Vierstöckige Wohnhäuser, bis in die Keller, nur ein glühender Steinhaufen. Alles war geschmolzen und schob die Leichen vor sich her. Frauen und Kinder verkohlt bis zur Unkenntlichkeit. Halb verkohlte Körper, von erkennbaren Überresten von Menschen, die an Sauerstoffmangel gestorben waren. Gehirne quollen aus geplatzten Schläfen, Eingeweide hingen unter den Rippen hervor. Der Tod dieser Menschen muss furchtbar gewesen sein. Die kleinsten Kinder lagen wie gebratene Aale auf dem Straßenbelag; im Tod, ihre Gesichtszüge zeigten noch, wie sie gelitten hatten, mit ausgestreckten Händen, um sich vor der erbarmungslosen Hitze zu schützen. Ich hatte keine Tränen mehr. Meine Augen wurden größer und größer, aber mein Mund blieb stumm.

2) Auszug aus dem Buch, „Feuersturm über Hamburg“, Seite 271 bis 273. Nach dem Krieg wurde der Wetterfaktor bezüglich des Hamburger Feuersturms untersucht, insbesondere von den Amerikanern Horatio Bond und Ch. H. Ebert. Nach Meinung von Ebert wurde die Entwicklung des Feuersturms zusammen mit einer ausgeprägten Zyklonspinnerei durch folgende anfangs vorherrschende Wetterbedingungen ermöglicht:

3) Das lange Bestehen eines stagnierenden Hochdrucksystems, durch das die intensive Sonneneinstrahlung die Stadtzone in außergewöhnlicher Weise aufheizen konnte.

 

Juni 1944 – Ein Luftangriff auf Hamburg von Charlotte Brozzo

Es muß noch Nacht gewesen sein, als von einem Flugplatz in Mittelengland viele Bomber – Geschwader, jedes etwa 14 – 17 Flugzeuge stark, in kurzen Abständen aufstiegen.

Zur gleichen Zeit, einige hundert Kilometer östlich, schlich sich das erste Morgengrauen in das glasklare, wolkenlose Firmament.Es war der frühe Morgen des 20. Juni 1944, der längste Tag und die kürzeste Nacht des Jahres. Und während einige hundert Bomber mit ihrer todbringenden Last gen Osten flogen, begleitet von ‚Pilotflugzeugen‘, die die Abwurfstellen mit sogenannten ‚Tannenbäumen‘ markierten, begann in ihrem Zielgebiet Hamburg das normale Leben eines Tages im fünften Kriegsjahr.

Straßenbahnen rasselten durch notdürftig instandgesetzte Straßen, besetzt mit Menschen, die zur Arbeit fuhren, oder von der Nachtschicht kamen. Hausfrauen eilten mit Taschen und Eimern zu Läden, die kaum als solche zu erkennen waren, um Lebensmittel oder sonstwas zu ergattern. Lastwagen und Pferdefuhrwerke belebten das Bild. Ab und zu war ein Militärfahrzeug zu sehen. Aus den Kellern mancher Ruinen stieg Rauch auf, der zeigte, daß hier Menchen wohnten.Es war wie an allen Tagen im letzten Jahr, seit die Angriffe 1943 einen Großteil der Stadt in Schutt und Asche gelegt hatten.

Die Villa in der vornehmen Enzianstraße verließen wir gleichzeitig. Wir waren Arbeitskollegen, die von der Behörde hier eingewiesen waren. Der Mann bewohnte mit seiner Frau eine kleine Einliegerwohnung und ich schlief in einem winzigen Dachzimmer auf einem Notbett.“Ist das ein herrliches Wetter“ sagte ich, „man sollte einen Urlaubstag nehmen und baden gehen.“ „Hm“ brummelte der Mann,“das geht nicht, wir haben genug zu tun.“

Schweigend gingen wir zum U-Bahnhof Lattenkamp, schweigend und unseren Gedanken nachhängend erreichten wir den Bahnhof Mundsburg. Als die Bahn hielt, kam eine Durchsage: „Sehr geehrte Fahrgäste, der Zug fährt nicht weiter, wir haben Voralarm. Suchen Sie bitte den nächsten Schutzraum auf.“ „Willst du in einen Bunker?“ fragte der Mann.“Nee, ich nicht“, war meine prompte Antwort, „wir gehen einfach zu Fuß weiter zur Firma. Da ist sowieso alles in Trümmern, also werden dort wahrscheinlich keine Bomben mehr fallen.“

Wir gingen weiter auf fast menschenleeren Straßen, zwischen Ruinen und notdürftig ausgebesserten Häusern. Als wir die Bürgerweide erreicht hatten, gab es Vollalarm. Ein Luftschutzwart, kenntlich an einer Armbinde, kam uns entgegen. „Vollalarm“ rief er, „dort ist ein Keller, kommen Sie schnell!“ „Wir haben es nicht mehr weit“ antwortete der Mann „wir schaffen es schon.“ Nun gingen wir beide etwas schneller. Heidenkampsweg, Kreuzung Eiffestraße, dann Wendenstraße, weiter, vorbei an der ausgebrannten Badeanstalt an der Süderstraße. Hier standen ein paar SS Leute mit dem Gewehr im Anschlag. Irgendwo im Hintergrund stand ein zusammengepferchtes Häuflein KZ Häftlinge, die von den SS Leuten offensichtlich bewacht wurden. Nach wenigen Minuten hatten wir das Gelände unserer Firma erreicht.

Kein Mensch war zu sehen. Zwei Lastwagen standen auf dem Hof,leer. Die Arbeiter und Kraftfahrer waren in den nächsten Bunker gegangen. Das flache, langgestreckte Gebäude hatte in der Mitte eine Eingangstür von der Straße und am Ende eines Korridores eine Tür zum Hof. Nachdem wir unsere Taschen abgestellt hatten, griff der Mann zum Telefon. Er wählte die Nummer des ‚Drahtfunks‘ und der ‚Onkel Baldrian‘ genannte Staatsrat Ahrens gab bekannt, daß ‚feindliche Kampfflugzeuge‘ im Anflug auf Hamburg seien.

„Geh‘ raus und paß‘ auf, wenn sie kommen“ ordnete er an. Ich stellte mich an die Tür zum Hof. Von Ferne war Flakfeuer zu hören. Im Osten, kaum sichtbar wegen der strahlenden Morgensonne, sah ich drei ‚Tannenbäume‘ leuchten und dann waren auch Bombeneinschläge zu hören. Der Mann blieb weiter am Drahtfunk und rief mir alle Neuigkeiten zu.

Als ich mit den Augen den Himmel absuchte, erschrak ich, denn aus dem Sonnenlicht löste sich ein Schwarm – ich zählte rasch 14 viermotoriger Bomber. Dreizehn glänzten silbern, aber einer sah aus wie von Ruß überzogen, duff-schwarz. Ich rief meinem Kollegen zu „da oben fliegen Bomber“ und mit Erschrecken sah ich, daß sich gerade über uns die Bombenklappen öffneten und eine lange Reihe Bomben herausfiel.

„Nun ist es aus“ sagte ich, aber der Mann beruhigte: „Wenn die Bomben hier über uns ausgeklinkt werden, schlagen sie je nach Flughöhe weit entfernt ein. Ich schätze mal so etwa 5 Kilometer.“ Inzwischen tauchten immer weitere Staffeln aus dem Sonnenglast auf, mal 13, mal 17 Maschinen stark. Und eine davon war immer schwarzduff. Irgendwann bei 200 hörte ich auf zu zählen, aber es kamen immer noch welche.

Die Flak schoss wie wild. Am Himmel zerplatzten viele kleine weiBe Wölkchen und hunderte, nein tausende der scharfkantigen Flaksplitter surrten und schwirrten um mich herum zur Erde.Auf dem Firmengelände gab es einen kleinen Unterstand aus Metall. Wir hielten uns beide unsere Taschen über den Kopf und rannten zu dem Unterstand, als wenn es etwas nütze. Das Aufschlagen der Flaksplitter auf das Schutzdach war jedoch so laut, daß wir sofort wieder zurückhasteten.

Von der Straßentür aus sahen wir weit hinter den Ruinen der Billstraße zwei dicke schwarze Rauchsäulen aufsteigen. „Die Raffinerieen in Wilhelmsburg“, sagte der Mann und ich nickte, „ja sicher, aber es sind bestimmt wieder auch Bomben daneben gefallen.“ Doch wir sahen noch etwas: Zwei Flugzeuge waren getroffen worden und trudelten langsam zur Erde. Aus einem löste sich noch etwas, das wie ein Motor aussah. Und dann schwebten auch noch fünf orangefarbene Fallschirme mit ihrer menschlichen Last herab. „Schade, daß sie nicht hier landen,“ bemerkte ich, „sicher haben sie Schokolade dabei“ – „und Zigaretten“ ergänzte der Mann.

Nachdem ‚Onkel Baldrian‘ und die Sirenen das Ende des Angriffs gemeldet hatten, kamen die Arbeiter und Kraftfahrer aus dem Bunker zurück. Sie waren sichtlich froh, zwei gesunde und auch ganz muntere Angestellte vorzufinden.

Etwa 5000m höher und einige Kilometer westlich flog eine Armada von Bombern ohne ihre tödliche Last und mit fast leeren Treibstofftanks zurück zu ihrem Heimatflughafen.

BDM – Mädchen Gisela von Gisela Richter (Jhrg. 1924)

Als nach 1945 so viele Menschen davon sprachen, „dass es alle gewusst haben“ was in den KZs passiert war und immer mehr Scheußlichkeiten bekannt wurden, habe ich mich immer wieder gefragt, woher die Leute ihr Wissen hatten und warum ich so ahnungslos war? – Warum ist bei uns zu Haus auch nicht andeutungsweise kritisch über Hitlers Politik, seine Feldzüge und den Holocaust gesprochen worden?
Zuerst habe ich die Berichte für maßlos übertrieben gehalten, weil mein Vorstellungsvermögen einfach nicht ausreichte, um den ganzen Wahnsinn zu glauben. Aber dann verfolgte ich die Dokumentationen in den Medien und mir wurde klar, dass sich im Elternhaus meine entscheidende Prägung vollzogen hat. Ein heranwachsender Mensch in der damaligen Zeit hatte kaum eine Möglichkeit, an andere als an die verordneten Informationen heranzukommen, und er sah auch keine Notwendigkeit dafür, wenn schon im Elternhaus keinerlei Zweifel aufkamen.
Den Nachfolgegenerationen zur Mahnung: Nur wenn schon zu Hause kritische Gespräche geführt werden und in den Medien, der Schule und im Freundeskreis über politische und gesellschaftliche Probleme kontrovers diskutiert werden kann, können Jugendliche hellhörig werden und sich einseitiger Indoktrination entziehen. Ich gehörte damals zu den anderen, den Verführten, die sich völlig unkritisch und angepaßt glücklich schätzten, in diese wunderbare Zeit hineingeboren zu sein und habe den „Dienst“ im BDM gern aufgenommen.

Es begann mit einem Gespräch zwischen Vati und mir. – Wir schrieben das Jahr 1934, ich war fast 10 Jahre alt und Hitler ein Jahr an der Macht. Vati erzählte mir etwas aus der Geschichte (vom verlorenen Weltkrieg und der schlimmen Zeit danach), wie der Führer nun alles zum Besseren gewendet und uns wieder eine Zukunft gegeben hat. Dass wir so froh sein könnten, Hitler zu haben. Dass wir stolz sein dürften, Deutsche zu sein weil wir wieder Achtung in der Welt erlangten.
Das konnte Vati mir so gut vermitteln, weil er natürlich schon überzeugter Nationalsozialist war, nur die hehren Ziele sah und Hillers wahre Pläne nicht kannte oder einfach nur das sah, was er sehen wollte. Hinzu kam, dass die deutsche Propaganda ebenso massiv wie einseitig war. Eine Opposition gab es nicht. Und wenn später kritische Stimmen laut wurden, dann kamen sie von „Volksschädlingen‘, die vom Ausland gesteuert waren und die ‚ausgeschaltet‘ werden mussten.
Vati war der festen Meinung, dass alles zum Wohle des deutschen Volkes geschah und der Führer, den uns ja die „Vorsehung“ geschickt hatte, durch und durch edel und selbstlos war.
Ich weiß nicht wie er es verkraftet hätte, wenn ihm die ganze Tragödie noch bekannt geworden wäre. Sicher hätten immer noch die anderen Schuld an der Katastrophe gehabt, die dem Führer eins auswischen und die eigene Haut mit Gewinn retten wollten. Er überließ es mir, den gewaltigen Einbruch in meine – mit so viel Vertrauen aufgebaute – politische Sichtweise allein zu verkraften. Denn Vati starb Ende 1945 in einem Kriegsgefangenenlager bei Thorn. So aber, 1934, machte mir Vati klar, dass nun jeder aufgerufen sei, nach seinen Kräften am Aufbau des neuen Staates mitzuwirken. Und da dem Führer doch gerade die Jugend so am Herzen läge und es doch auch meine Zukunft wäre, sollte ich doch mal überlegen, ob ich nicht in die Hitlerjugend eintreten wolle? Und natürlich wollte ich!!!
Zu solch einer Jugend wollte ich gehören, die so viel bot, und wo man sich durch die Uniform von der Masse abheben konnte. Somit wurde ich schon 1934 freiwilliges Mitglied des BDM (Bund deutscher Mädel) und zwar „Jungmädel‘. Später wurde der Eintritt in die Jugendorganisation zur Pflicht gemacht. Jungmädel, das waren die 10- 14jährigen Mädchen, die anschließend in den BDM übernommen und mit 18 Jahren in die NSDAP überführt wurden und dann z.B. auch in der NS-Frauenschaft tätig sein konnten. Bei den Jungen war der Ablauf gleich. Nur hießen sie erst Pimpfe, dann Hitlerjungen und als Erwachsene konnten sie sich für die Mitarbeit in der Partei oder deren Gliederungen entscheiden: NSDAP – Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, SA – Sturmabteilung, NSKK – Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps NSFK oder Nationalsozialistisches Fliegerkorps. Oder, wer nun in die erlesenste Organisation wollte, ging zur SS. Vorausgesetzt, er wurde auch für würdig befunden. – Denn hier tummelte sich die absolute Elite, herangezogen in den „Napolas“ (Nationalpolitische Erziehungsanstalten). Das waren Internate, wo nur die innerlich und äußerlich integren Edel-Jugendlichen für die spätere Führungsschicht herangebildet wurden. Und diese Ausbildung war hart.
Ich kam also zu den Jungmädeln, wo die kleinste Zelle die Jungmädelschaft, ca. 10-15 Mädchen umfasste. Vier Schaften bildeten dann eine Schar und vier Scharen waren eine Gruppe, die das gleiche Einzugsgebiet wie die Partei-Ortsgruppe hatte. Jede Zelle wurde von einer Führerin geleitet. Äußerlich erkennbar an einer „Kordel“ an der Uniform. Die unterste Stufe war rot-weiß, die nächste grün und die Gruppenführerin trug grün-weiß.
Das Wichtigste für mich war nun erst mal die Uniform, denn ohne sie war man ein Niemand. Es blieb den Eltern überlassen, wie sie die Sachen finanzierten. Einiges wurde selbst genäht wie z.B. der schwarze Wollrock, vorn mit Kellerfalte, sonst glatt, der bei den Jungmädchen mit Perlmuttknöpfen auf die weiße Hemdbluse (mit Kurzarm und Brusttaschen) aufgeknöpft wurde. Bei den BDM-Mädeln wurde der Rock mit Gürtel getragen. Ein schwarzes Dreiecktuch wurde zum Halstuch aufgerollt und zwar so, dass eine Ecke blieb, die unter dem Blusenkragen hervorsah. Die langen Enden wurden durch einen geflochtenen Lederknoten geschoben. Außerdem gehörte noch eine Kletterweste (hellbraune Velveton Jacke) mit Brusttaschen, eine „Berchtesgadener“ (schwarze Strickjacke mit Schößchen und grün-roten Streifen am Halsausschnitt) dazu. – Diese Jacken werden noch heute in Berchtesgaden getragen. Übrigens haben wir gelernt, dass das schwarze Halstuch nicht nur Zierde war, sondern bei Verletzungen von Arm oder Hand als Tragehilfe dienen konnte (Schlinge). Im Winter wurde die Uniform noch durch eine Strickmütze (Teufelskappe) und Handschuhe ergänzt. Und natürlich trugen wir zu allen Jahreszeiten feste, geschnürte Halbschuhe. – Das höchste Glück waren die „Bundschuhe“, die ich leider nicht bekam. Hier konnten so herrliche eiserne Spitzen und an den Absätzen Hufeisen angebracht werden, die dann beim Marschieren so herrlich knallten! Doch Mutti hatte (für mich damals leider) andere Vorstellungen von einem heranwachsenden Mädchen. Ihr waren schon die grauen Kniestrümpfe ein Gräuel, die bis einschl. Führers Geburtstag am 20. April getragen werden mussten. Danach kamen dann die weißen Söckchen.
Zuerst lernte ich mal, dass die Uniform ein „Ehrenkleid“ ist, das zu allen Feiern – auch Familiengeburtstagen usw. – getragen werden kann und selbstverständlich zu den politisch verordneten Festen Pflicht war. Und natürlich habe man in der Uniform immer untadelig aufzutreten. Außerdem gehöre es sich nicht, zur Uniform irgendwelchen Schmuck zu tragen, denn: die Uniform ist der Schmuck!!! Bei mir gab es nichts Derartiges. Ich weiß aber, dass bei vielen Mädchen die Ohrringe nur mit großer Mühe herausgenommen werden konnten. Aber raus mussten sie. Meine Uniform habe ich immer mit großem Stolz getragen und ging gern zu allen Veranstaltungen. Sie wurden als Dienst bezeichnet und hatten immer Vorrang. Das war natürlich eine feine Sache, um sich zu Hause vor unliebsamen Arbeiten zu drücken. Außerdem wurde uns beigebracht, dass zuerst immer die Führerin Recht hat, und dann erst die Eltern. Das fand ich zuerst ganz toll. Später hat es mich abgestoßen.
Zum Dienst gehörte zuerst der wöchentliche Heimabend. Hier wurde gesungen, denn wir mussten beim Marschieren nicht nur die bekannten Volkslieder singen, sondern vor allem das NS-Liedgut. Und dann wurde uns natürlich die NS-Ideologie eingebläut. Damit hatte ich allerdings keine Probleme, weil im häuslichen Bereich der gleiche Tenor herrschte.
Und dann gab’s die Ausmärsche! Zuerst hatten wir – genau wie die Rekruten – die Kommandos zu lernen und zu befolgen: Antreten in Linie zu einem Glied (oder zwei oder drei Gliedern) Augen rechts, richt‘ euch! Dabei hatten wir den rechten Flügelmann als Fixpunkt zu nehmen und uns auf eine gerade Linie zu schieben. Fußspitzen genau ausgerichtet. Augen geradeaus! D i e Augen … darauf durfte nur links kommen und dann wurde nach dieser Seite ausgerichtet. – Aber viele brachten immer rechts und links durcheinander. Hatten wir nun endlich unsere Linie zur Zufriedenheit erstellt, hieß es: Rechts um – im Gleichschritt marsch, wobei der linke Fuß immer zuerst aufgesetzt werden musste. – Das klappte anfangs ebenso wenig, sodass erst mal eine Zeitlang: links, links, links gerufen wurde, bis jeder den richtigen Tritt hatte. Oftmals wurde das „Links“ noch mit dem schrillen Ton der Trillerpfeife unserer Führerin unterstützt. Wenn eine Führerin in ihrem Rang bestätigt wurde, bekam sie feierlich die entsprechende Kordel ausgehändigt. Sie wurde über dem Halstuch getragen, auch durch den Knoten gezogen und das Ende in die linke Brusttasche gesteckt. An diesem Kordelende war dann die Trillerpfeife mit einem Karabinerhaken befestigt.
Sehr schön war für mich der Sport. Nach dem Motto: ,In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist‘ wurde in der NS-Zeit allergrößter Wert auf körperliche Ertüchtigung gelegt. Und hier war es die Leichtathletik, die den breitesten Raum einnahm, weil man sie fast überall ausüben konnte. (Es gab ja noch keine hochqualifizierten Anlagen oder Geräte). Hierbei merkte ich, dass ich gewisse Fähigkeiten hatte und mich auszeichnen konnte. Zu begeistern waren auch wir Mädchen mit Geländespielen, Schnitzeljagden, Fackelmärschen und ähnlichem. – Wir lernten auch, mit dem Kompass umzugehen.
Ein tolles Erlebnis war für mich ein Zeltlager auf Rügen! Zuerst mal musste ein Tornister, der sog. Affe“ (weil er mit Fell bespannt war) beschafft werden. Er wurde für mich irgendwo geliehen. Wir lernten das sachgemäße Packen, die zusammengerollte Decke wurde über den Tornister gelegt, festgeschnallt und das Kochgeschirr auf dem Tornisterfell durch vier Lederösen, mit Riemchen festgezurrt. Quer über die Schulter wurde der Brotbeutel getragen, der Verpflegung, Besteck usw. enthielt. Dazu gehörte dann auch die angehängte Feldflasche. So fuhren wir mit dem Zug nach Rügen, wo die Zeltstadt schon aufgebaut war. – Wir wurden auf große Rundzelte verteilt; und zwar kamen so viele Mädchen in ein Zelt, dass der Platz knapp wurde. Wir lagen mit den Füßen zur Zeltmitte, und da gab’s dann schon Gerangel. Unterm Kopf hatten wir den Tornister und jeder deckte sich mit seiner Decke zu. Das war ja alles ganz romantisch, aber eben nicht bequem. Denn wenn sich ca. 20 Mädchen im Zelt aus- und anziehen oder etwas suchen, dann wird’s ungemütlich. Und nach jedem Aufstehen hatten alle Sachen fein säuberlich verstaut zu werden, denn es gab „Zeltappell“ und bei Nichtgefallen: Extradienst!
Nach der Parole: „Gelobt sei, was hart macht“, ging’s morgens – noch schlaftrunken – aus dem warmen Zelt im Dauerlauf zum Frühsport hinunter ans Meer. Das ging ja noch. Aber dann kam die Morgenwäsche mit dem Zähneputzen direkt in der Ostsee, und die war kalt!!! – Das war nun gar nicht mein Fall. Aber was half s? Man durfte vor allem nicht auffallen, um nicht besonders getriezt zu werden. Der erste feierliche Akt des Tages war dann der Fahnenappell. Wir hatten – in korrekter Uniform – im offenen Viereck vor den Fahnenmasten anzutreten, schmetterten ein Lied, dann gab’s eine kurze Ansprache der Lagerleitung mit der Tageslosung, strammstehen und das Kommando:
„Heißt Flagge“. Und abends ging’s dann in umgekehrter Reihenfolge wieder zum Einholen der Flagge. – Wir lernten auch, dass eine Fahne etwas Heiliges ist, die man schützen und bewahren und im Notfall auch verteidigen muss!
Wir lernten die Insel Rügen kennen, fuhren nach Stubbenkammer und bestaunten die Kreidefelsen.
Am eindrucksvollsten aber waren die Abende am Lagerfeuer! Es wurde viel gesungen mit Gitarrenbegleitung und Verse zeitgenössischer Dichter rezitiert. Darin wurde natürlich immer die Heimat, das Vaterland verherrlicht, Helden wurden verehrt. Dies alles verfehlte nicht seine Wirkung auf uns. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich in eine Zeit hineingeboren war, die so groß und herrlich ist, wie sie es vorher noch nie gegeben hatte, und dass uns noch Generationen später darum beneiden würden. Das Germanentum wurde uns näher gebracht, denn von ihnen stammten wir ja ab. Das Hakenkreuz war vom Sonnenkreuz der Germanen abgeleitet, nur eckiger gestaltet.
Und dann wurde die Sonnenwendfeier zelebriert! Wir hatten uns Verse selbst zu dichten oder aus einem Buch herauszusuchen. Durch Gesang und Ansprachen wurden wir eingestimmt und als das Feuer heruntergebrannt war, liefen wir zu zweit oder dritt mit gefassten Händen an und sprangen über den noch glimmenden Holzstoß, wobei dann die Verse laut gerufen werden mussten. Ich wüsste nicht, dass sich damals ein Kind dieser eigenartigen Stimmung entziehen konnte. Wir waren alle beeindruckt und gingen still schlafen.
Als ich wieder nach Haus kam, war ich in meiner Begeisterung ein ganzes Stück vorangekommen.
In Berlin waren wir immer dicht am politischen und kulturellen Geschehen. Es gab Aufmärsche und Veranstaltungen im Berliner Olympiastadion. Zu den festen Terminen gehörten vor allem „Führers Geburtstag“ am 20. April und dann der Maifeiertag. Da hieß es dann früh aufstehen, antreten und mit der S-Bahn Richtung Grunewald zum Stadion fahren. Da waren die Bahnen schon voll und am Ziel formierten sich die Gruppen mit Fahnen und Wimpeln und marschierten ins Stadion ein, das dann bis auf den letzten Platz gefüllt war. Bis zum Beginn der Veranstaltung wurden wir mit flotter Marschmusik unterhalten und wenn dann der Führer nahte, wurde immer der „Badenweiler Marsch“ als Erkennungsmelodie gespielt. Die Wagenkolonne fuhr durch das Olympiator, vornweg der Führer in seinem offenen Mercedes, eskortiert von Polizisten auf Motorrädern. Der Führer fuhr stehend mit dem ausgestreckten Arm zu Hitlergruß eine Ehrenrunde. Das war für uns dann der Augenblick, in lautstarke „Heil-, Heil-, Heilrufe“ auszubrechen. Die Begeisterung schwappte über, bis dann alle Offiziellen ihre Plätze eingenommen hatten.
Dann sprach als erster unser Reichjugendführer Baldur von Schirach, anschließend vielleicht noch Goebbels und dann kam endlich die Hitlerrede. – Meist hörten wir nur am Anfang zu, denn seine Reden waren immer recht lang und den tieferen Sinn haben wir gar nicht verstanden. Aber immer wieder konnten wir hören, dass die deutsche Jugend etwas Besonderes und zu Höherem berufen ist.
Wenn die Ehrengäste wieder mit vielen Heilrufen verabschiedet waren, endete für uns die Veranstaltung und wir konnten hinüber zum Maifeld gehen. Das war ein großer Rasenplatz, wo wir mit Erbsensuppe oder Pichelsteiner Fleisch aus der Gulaschkanone versorgt wurden. Es gab Pappteller zum Wegwerfen und Aluminiumlöffel, die wir als Trophäe mit nach Haus nahmen. Dann lösten sich die Gruppen auf und man ging da hin, wo was los war.
Und das war „Unter den Linden“ oder auf der „Ost-West-Achse“ heute wie auch früher – Charlottenburger Chaussee. Hier wurde immer eine Parade abgehalten, denn das „Dritte Reich“ stellte seine Macht gern zur Schau, so wie es in allen totalitären Staaten gehandhabt wird. – Für uns war das ein tolles Schauspiel, das unsere Achtung vor der deutschen Wehrmacht noch größer werden ließ. Und wenn ich dann abends wieder todmüde zu Haus anlangte hatte ich das Gefühl, etwas ganz Tolles erlebt zu haben.
So erfüllte ich meinen Dienst gern in der Überzeugung, meine ganze Kraft für dieses herrliche Reich einsetzen zu wollen. – Ich muss so 14 oder 15 Jahre alt gewesen sein, als ich zur „Schaftsführerin“ ernannt wurde. Später stieg ich noch zur „Scharführerin“ auf und trug stolz meine grüne Kordel. Für diesen Zeitabschnitt lässt mich meine Erinnerung im Stich. Ich kann mich weder an meine Tätigkeiten, noch an Namen oder Gesichter erinnern. Hier klafft bei mir einfach eine Lücke. – Ich denke, dass die späteren Kriegsereignisse diese Zeitspanne überdeckt haben. Ich musste doch meine Schüchternheit etwas überwunden haben, denn wie sollte ich sonst vor eine Gruppe Mädchen getreten sein, die mich erwartungsvoll ansahen und denen ich etwas vermitteln sollte? Wie mit Vorgesetzten oder mit Eltern reden? Ich weiß es nicht mehr!
Mit 18 Jahren wurde ich automatisch in die NSDAP übernommen und trug stolz mein Parteiabzeichen. Die Eltern waren natürlich auch zufrieden, dass sich ihre Gisela so gut in der gewünschten Richtung entwickelte. In der Partei habe ich dann weder ein Amt bekleidet noch an irgendwelchen Veranstaltungen teilgenommen. Es war Krieg und jeder auf sich gestellt, um zu überleben.